Kex Kuhl Dazu.Gehirn

Kiez-seeing Tour mit Kex Kuhl

Nun… allmählich dürfte so ziemlich jeder, der annähernd Deutschrap-affin ist, verinnerlicht haben, dass Kex Kuhl sich mit seinem Debütalbum „Stokkholm“ (VÖ: Juli 2018) von dem klassischen Battlerap entsagt hat.  Mit tragfähigem, rauhen Stimmklang und ungewohnt melodischem Soundbild begab er sich zuletzt mit den Brudis von ODMGDIA auf „Nachtzug durch Stokkholm Tour“ quer durch Deutschland. Eine Mordsgaudi, welche nach altbewährter „Jägi-Ritters“ – Art durch die fulminante Tour-Single „Wasser“ komplettiert wurde. Scharenweise Anlässe mich auf den Weg nach Berlin zu machen, um mich mit Kex Kuhl auf eine gemeinsame „Kiez-seeing Tour“ zu begeben. Nice.

„Haha! Hach, ich hätte dich ja am Liebsten an mir vorbeilaufen lassen … ”

… nehme ich eine kichernde Stimme seitab wahr. Taha wartet bereits etwas abseits des Ausgangs der U-Bahn „Mehringdamm“ unter einem kleinen Baum stehend auf mich; beinahe etwas unscheinbar. Im Übrigen wäre ich glattweg an ihm vorbeigelaufen, aber das wollte ich ihn an dieser Stelle nicht gleich wissen lassen. Mööp.

Sinnbildlich assoziierte ich Kex Kuhl immer mit dem quirligen Pig Pen aus „Die Peanuts“ – nur halt in “Lässig”. Stets gefolgt von einer kleinen, euphorischen Wolke aus unzähligen Jointstummel, klimpernden Bierflaschendeckelchen und hermetischen Qualm, welche er beständig unbekümmert hinter sich her zu ziehen schien. Einhergehend mit flapsigen, aber gekonnt sitzenden Punchlines, welche sich oftmals erst im Nachgang als äußerst nachhallend hervortun. Unausweichlich jederzeit an seiner ungezwungenen Seite: Andi Tablez, mit dem ihn zweifelsohne eine innig-liebevolle, mutualistische Symbiose aus Weingeist und Schelmerei zu verbinden scheint. Auf Anmerkungen zu seinem charakteristisch rollenden „R“ und seiner Teilnahme an sämtlichen Battlerap Turnier Formaten vor nunmehr vier Jahren verzichte ich an dieser Stelle. Das ist  ausgelutschter, zähklebender Kaugummi an der lotterigen Schuhsohle des Deutschrap.

Der vegetarische Metzger

Unsere erste Station ist „Der Vegetarische Metzger“ in der Bergmannstraße. Ein kleines Restaurant, welches vegetarische sowie vegane Fleisch- und Fischspeisen mit einem hausintern entwickelten Fleischersatz aus Hülsenfrüchte zubereitet. Wir sitzen draußen an einem kleinen Tischchen, vor uns zwei Portionen Pommes mit vier verschiedenen Soßen. Über uns rankt eine gespannte Leine, welche mit entzückenden Fleischwurststückchendings aus Plüsch bestückt ist. In alledem liegt wohl auch begründet, warum Taha, obwohl ein Fleisch- und Fischverputzer, so gerne diese Location aufsucht: ihm gefällt schlichtweg die “schnuckelige” Aufmachung. Mir im Übrigen auch.  Hin und wieder würde er sich auch gerne auf die mit Kissen arrangierte, schmale Sitzfläche im Schaufenster setzen, allerdings hätte er da stets damit zu tun nicht nach hinten zu kippen beim Sitzen – zwecks Gleichgewicht und so, haha. Er bestätigt mir, dass alle Gerichte, obwohl sie aus Fleischimitaten hergestellt sind, nahezu “fleischig” schmecken. In jenem Fall kann ich beurteilen, dass die Pommes wahnsinnig lecker sind. Und ich bin eine sehr kritische Pommes-Ein-Mann-Jury, da ich eine abgründige Zuneigung für Pommes hege.

Am Abend vor unserem Treffen hatte ich vorab die Gelegenheit in “Stokkholm” reinhören und… es wirkt immernoch nach. Da dieses Album nahtlos ohne Samples oder anderweitigen phonetischen und technischen Spielereien daherkommt, frage ich ihn einfach geradeaus nach dem künftigen Verbleib von Andi Tablez. “WAS?! Neeeeeein!! Andi ist mein Schatziiiiiii! Also, ich bitte dich!” entgegnet Taha mir etwas belustigt mit weit aufgerissenen Augen. Ich glaube, so sieht Liebe sinnbildlich in einem Gesichtsausdruck bebildert aus. Okay. Gut. Mein persönliches #TeamKex – Weltbild ist an dieser Stelle wieder hergestellt. Nebenbei bemerkt: die Knoblauch-Soße schmeckt uns beiden am Besten. Da sind wir uns einig. Und der leckere Soja-Sesam Dip, der ein wenig nach Pilzen schmeckt, obwohl es keine Pilz-Soße ist, sondern halt ein Soja-Sesam Dip.

Während ich meine scheißegeilen Pommes knabbere, versuche ich für mich den Widerspruch zwischen „Stokkholm“,  diesem inhaltlich schweren Album, und dem scheinbar redseligen, vergnügten Mann neben mir in einen sinnbehafteten Zusammenhang zu bringen. Taha trägt während unserer behaglichen Pommes-Orgie angenehm zugänglich und ausführlich einige für ihn prägsame Vorkommnisse der letzten Monate an mich heran:  einschneidende Drogentrips, unüberwindbare Selbstzweifel, ein sich-schleppendes Beziehungsende, zwischenmenschliche Kollisionen … Der abkömmlich-mannigfalte Cocktail für eine wohlgenährte  Depression. Bewundernswert selbstreflektiert, zugleich völlig unverkrampft gewährt Taha mir einen kleinen Auszug in das vertrackte Innenleben des Kex Kuhl. Der lässige „Pig Pen“ des Deutschrap katapultierte sich selbst, angeschoben von einem bittersüßem Zusammenspiel externer Faktoren, euphorisch in die mentale Kreissäge.

Zur Klappe

„Haha, die nächste Location liegt etwas versteckt“ kündigt Taha an. In diesem Moment zeigt er mir belustigt eine WhatsApp Nachricht von Errdeka , welche er soeben erhalten hat: „Na, heute in der Hood unterwegs?“ Japp. Mit mir! 187! Da ich lediglich über das Orientierungsvermögen einer Bockwurst verfüge, laufe ich einfach neben Taha her, um irgendwann festzustellen, dass wir uns nun auf einer Art Kreuzung auf dem Mehringdamm befinden. Ich glaube, so etwas nennt man eine „Mittelinsel“. Eine mickrige Rasenfläche, ein mit Plakaten von der „Terrorgruppe“ gepflastertes graues Mauerhäuschen, unzählige Absperrschranken und Überreste abgesplitterter Metallzäunchen … Ein charmant abgefucktes Plätzchen – Berlin halt.


Taha erzählt mir, dass es sich hierbei um einen „coolen Elektro-Schuppen“ handelt. Ahja. Ähm. Dann erblicke ein unscheinbares Holzschildchen beschriftet mit „Zur Klappe“. Er weist mich auf eine unscheinbare, aber großflächige Schachtabdeckung aus Beton mit lauter kleinen eingefassten Leuchten auf den Fußboden hin, welche zum Einlass nach Unten heruntergefahren würde. Jetzt verstehe ich. Nice! Bis zum Anfang der 90er handelte es sich bei dieser Location um eine öffentliche Toilette, welche als Treffpunkt für homosexuelle Männer (sogenannte „Klappen“) fungierte, um dort ungezwungen und geschützt vor strafrechtlichen Konsequenzen ihre Sexualität ausleben zu können. Mittlerweile wurde an eben dieser Stelle von zwei Berlinern eine stilvolle Kunstbar errichtet – unterhalb der Erde. Der Grund, warum Kex Kuhl sich diesen Ort aussuchte? Er ist in jenem Fall sehr innovativ und mitten in seiner Hood verankert. Außerdem alkoholgetränkte Bruchstücke amüsanter Erinnerungen aus einer ausschweifenden Nacht mit Dollar John nach einem gemeinsamen Gig als Support von SAM im Januar. Taha schildert mir kichernd und ausgesprochen anschaulich, wie die beiden in jener Nacht als passionierte Anhänger der Leber-Partei und mit reichlich Grütze im Turm etwas unbeholfen versuchten den versteckt gelegenen Eingang zu finden, haha. Dezent verstörende und irritierende Bilder huschen mir durch meinen Kopf … 🙂

Tom Hemp‘s Shop

Man könnte annehmen, dass einer DER Hotspots von Taha eine possierliche Hanfplantage wäre. Nicht ganz – wenn schon keine “kuhleigene” Pflanzanlage des “grünen Samtes”, dann eben mit Tom Hemp‘s! Man könnte an dieser Stelle natürlich vorschnell so einen herkömmlich-versifften “Kiffer-Schuppen” mit minderwertigen Wasserpfeifen in den klischeegetreu gehaltenen Rastafari-Farben im Schaufenster vor seinem geistigen Auge haben. Aber – NOPE!

“A mix between healthy food and innovative project in the middle of kreuzberg” oder “Eine grüne Oase in der Mitte von Berlin” lese ich im Vorfeld über diesen Store. Dem ist im Nachhinein nichts hinzuzufügen. Bei Tom Hemp´s handelt es sich um eine äußerst origenelle, zugleich informative Location in der Wrangelstraße (Wrangelkiez) mit einer überaus vielfältigen Palette an natürlichen CBD Produkten.  Neben einem stilvollen Bistro mit innovativen vegetarischen, sowie veganen Snacks und einen dazugehörigen Online Shop bietet der Laden ein bedachtsam erstelltes Sortiment an kulinarischen, kosmetischen oder anderweitigen Erzeugnissen aus Cannabidiol.

 

Taha und meine Wenigkeit werden direkt von einem drolligen 12 Wochen alten Mini Bullterrier freudig in Empfang genommen. Da ist er wieder: dieser liebevolle “Andi Tablez” Ausdruck in Tahas Gesicht. Es liest sich ein wenig kotzerregend gefühlig an dieser Stelle, aber es ist herzallerliebst zu beobachten, wie er und der kleine “Neo” aufeinander treffen. Gemeinsam mit Felix, dem Herrchen dieses entzückenden Kerlchens und dem Marketing- und Produktmanager des Shops, verweilen wir einige Zeit an einer der gemütlichen Sitzecken im Store. Wir unterhalten uns u.a. über das diesjährige “420 Hempfest”, welches am 20.04.2018 im BiNuu Club mit Taimo oder Plusmacher und Estikay als Secret Acts stattgefunden hat. Nebenher schlürfen wir “Hemptastic Hanflimonade”. Ich war zunächst etwas skeptisch, weil handelsübliche Softdrinks dieser Art aus Apfelsaftbasis meine Lust auf dieses Getränk in der Vergangenheit eindringlich gedämpft haben – diese Hanflimonade hingegen wird auf Traubensaftbasis hergestellt und schmeckt tatsächlich sehr lecker. Es mangelt uns durchaus an Motivation uns nun aufzuraffen, um von dieser nicen Location mit ausgesprochenem Wohlfühlfaktor zu Tahas Top 3 – der grässlichsten Orte Berlins zu schreiten.

U-Bahn

Warum Taha sich die U-Bahn als eine seiner Hasslocations schlechthin aussuchte, ist wohl eher so ein immanentes Ding: Menschen, beklemmende Nähe und absonderliche Massenphänomene.
Während wir am Kottbusser Tor abseits einer hektischen Menschentraube auf einen Bus warten, bietet sich uns eben genau solch ein Schauspiel: Zur Verfügung stehen vier Busse – schätzungsweise 200 Menschen stapeln sich wie kleine Ölsardinen in die ersten beiden Busse. „Siehst du – deshalb“ kommentiert er dieses beständige Großstadt-Szenario.

„Menschen sind manchmal wie so kleine Lemminge, welche ohne zu überlegen in Reihe mit dem Kopf gegen eine Wand laufen, bis sie nacheinander umfallen. Ich möchte natürlich nicht ‚Lemminge‘ sagen… Hm. Wobei? Doch. Das richtige Wort ist tatsächlich ‚Lemminge‘. Die sind so“.

Wohlmöglich hindern genau solche dummen Verhaltensweisen an Menschen Taha oftmals daran seine Wohnung zu verlassen. Sie erschrecken ihn schlichtweg. Dito. Ich fühle. Geteiltes Leid führt in unserem Fall zu einer sprudelnd hasserfüllten Irrfahrt quer durch Berlin Mitte. Wie zwei kleine, hämische  “Alman- Lemminge” schlurfen wir widerwillig mittels den Öffis zum Alexanderplatz und verlieren uns immer wieder vergnügt in gehässige Schimpftiraden.

Alexanderplatz

Kennzeichnend für den Alexanderplatz ist die Begebenheit, dass er stets so überfüllt an Menschen ist, dass man diesen Standort eigentlich nie in seiner beharrlich grottenhässlichen Erscheinung vollständig überblicken kann. Scharen an Menschen, welche sich wie ferngesteuert in dieser bedrohlichen Betonwüste auf und ab bewegen oder um den schmutzstarrenden Springbrunnen lümmeln. Als virtuoses Highlight: eine PRIMARK Filiale. Ok. Wow. Nicht zu vergessen: die Weltzeituhr als eines der belanglosesten und unästhetischen Sehenswürdigkeiten ever. Verloren zwischen all diesen Hässlichkeiten stehen wir wenige Minuten wortlos auf der Stelle rum und beobachten unkommentiert das Geschehen um uns herum. Taha merkt etwas betrübt an, dass er nicht verstehen kann, warum Menschen so viel Zeit damit verschwenden sich an so einem scheußlichen Ort 45 Minuten an einem dürftig-herkömmlichen Bratwurststand anzustellen, wenn man in einer eigentlich so einer schönen Stadt ist. Wo viele Menschen zusammentreffen, tun sich stets skurrile Begebenheiten auf. Das Thema hatten wir heute schon. Im Grunde bedarf es auch an keinerlei ergänzenden Ausführungen zu dieser Szenerie.  Menschen. Er mag sie nur nicht …

ALEXA

Direkt nachdem wir die Einkaufspassage des ALEXA betreten haben, weist Taha mich explizit auf eine Stelle am Fußboden mit abgesplitterten und nicht parallel zueinander abschließenden Fliesenkanten hin. Zeitgleich betrachtet er etwas irritiert die Schutzgeländer des ersten und zweiten Obergeschosses. Das Metallgelände im ersten Obergeschoss verläuft gerade, wohingegen dasselbige im zweiten OG in einen Bogen mündet. Asymmetrie geht in Tahas Kopf gar nicht klar. Das fängt schon bei der linearen Anordnung von Ofen-Pommes Frites  auf dem Backblech an …

Während wir einige Minuten lustlos durch die Mall schlendern, philosophieren wir u.a. über den Sinn von Tattoo Studios mit Dumping Preisen in solch einer Einkaufspassage, die disharmonische Farbgestaltung der Bodenfliesen und miserable Asia-Food Stände. Absonderlich erscheint uns auch die umzäunte „Plakat-Hecke“ mit aufgedruckten Zypressen am Eingangsbereich des ALEXA.

Ja. Es gibt viele Gründe solch einen Ort zu verabscheuen. Wie es sich für zwei Menschen mit einer misanthropischen Tendenz gehört, verfügen wir über einen sehr gut ausgeprägten Fluchtreflex. Schnell weg. Taha erklärt mir, dass es für ihn keinen Sinn ergibt Orte zu erschaffen, an dem sich eine Ladenkette an die Nächste reiht. Solche Orte würden lediglich weitere einengende Menschenmassen erschaffen.

Kex Kuhl Dazu.Gehirn

Ohne es bemerkt zu haben, führte Taha mich direkt im Anschluss an unsere schauderhafte Exkursion ins ALEXA gewohnt kommunikationsfreudig zu “meiner” U-Bahn Station. “So, ich werde jetzt nach Hause, mir schlechtes Essen bestellen und wohl noch einen rauchen” teilt er mir etwas zaghaft mit. Ein unerwartet abrupter, aber sehr offenherziger Abschied folgt. Ehe ich mich versehe, bleibe ich etwas irritiert am Rande des U-Bahn Eingangs zurück.

Während ich mir, selbst noch etwas verwundert, eine Zigarette anzünde, schaue ich Taha hinterher, wie er sich ein weiteres Mal freundlich lächelnd zu mir umdreht. Etwas hastig, aber gleicherweise in seinem typischen, leichtfüßigen “Pig Pen” Gangbild verschwindet Kex Kuhl nach und nach in der erdrückenden Menschenmenge am Alexanderplatz. Die Menschenmenge, die ihm zugleich so viel Unbehagen und Befangenheit bereitet. Vermutlich erhasche an dieser Stelle einen Blick auf die mental differenzierte Seite des Kex Kuhl, welche er erstmalig an diesem Tag nicht mit sprudelnder Redseligkeit und lässigem Wortwitz zu bewahren vermochte – sein persönliches “Stokkholm” halt.

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