„Ich glaube, viele in meinem Alter werden komplett von der Nostalgie überrollt, die man mit den frühen 2000ern verbindet“ – Zirkel im Interview über sein Debutalbum „UFF“ und das Comeback von Pop-Punk

Der Hamburger Musiker und Rapper Zirkel veröffentlichte nach zahlreichen Singles, EPs und Kollaborationen mit „UFF“ vor kurzem nun sein erstes Album als CD, Vinyl-LP und digital. Als früherer Gitarrist und Frontmann einer Rockband verbindet Zirkel mittlerweile Rap, Punk und Pop zu einem eigenen Throwback-Pop-Punk-Soundentwurf mit musikalischen 2000er-Referenzen, aber zeitgenössischen Themen und Texten auf Deutsch. Wir trafen die norddeutsche „Pop-Punk legend“ zum ausführlichen Gespräch über sein Debutalbum, erste Rap-Gehversuche im VBT, das Revival von Pop-Punk und den kulturellen Stellenwert von Memes.

Hi Zirkel, cool, dass du die Zeit gefunden hast. Dein erstes Album „UFF“ ist jetzt seit einigen Tagen draußen, wie geht’s dir frisch nach dem Release?

Ja hey, hallo! Immer noch im Stress, aber ganz gut soweit! Gibt noch ein bisschen was zu tun, aber das Schwierigste ist ja geschafft.

Viele Künstler:Innen releasen im Streaming-Zeitalter ja mittlerweile eher Singles und EPs, statt Alben. Warum hast du dich entschieden, ein Album zu machen?

True – ich hab ja die letzten zwei Jahre auch ausschließlich Singles rausgebracht, weil das eigentlich auch gut zu meinem Workflow passt, aber es sind bei meiner Schreiberei immer wieder Songs entstanden, die nochmal anders abgebildet haben, wie ich mich in dieser Zeit gefühlt habe und die haben einfach zusammengepasst und ein Gesamtbild ergeben, das ich sonst nicht mit einer Single hätte hinkriegen können.

Ah, ich hatte mich auch schon gefragt, wie der Albumprozess wohl aussah. „UFF“ hat „nur“ 9 Songs und einige frühere Singles, wie z. Bsp. „Crazy“, die vlt. auch noch gut draufgepasst hätten, sind nicht dabei. Hat sich das Album also eher organisch ergeben, oder fandest du es auch einfach an der Zeit für ein erstes Album, weil du das Format vlt. auch noch magst und kennst aus deiner musikalischen Sozialisation?

Letzteres definitiv auch! Ein Gesamtgefühl, ein Artwork, das alles zusammenbringt und ein großes Projekt, das in der Karriere raussticht ist einfach cool – bei meinen Lieblingsbands verweise ich auch auf deren Alben und nicht unbedingt auf irgendeine Single. Es hat sich auf jeden Fall organisch ergeben und über den Zeitraum der Entstehung gab es Songs, die sich nach einer Single zum „alleine raushauen“ angehört haben und Songs, die sich angefühlt haben, als sollten sie sich zu den anderen Albumsongs gesellen (lacht).

Du produzierst und mischt ja auch für andere Kunstler:Innen; wie war das bei „UFF“, hast du das Album komplett alleine eingespielt, gemixt und gemastert?

Zum größten Teil, yes. Ich habe ja für eventuelle Live-Auftritte den talentierten sowie gutaussehenden Trommler Daniel rangeholt, den man seitdem auch in den Musikvideos sehen kann und er hat bei drei Songs nochmal Schlagzeug eingespielt, um sie noch fetziger zu machen, wie Profis sagen. Mixing habe ich gemacht wie sonst auch und das Mastering hat Joni von Wholesome Audio übernommen.

Stichwort „Lieblingsbands“ von grade: Du machst bereits seit Anfang/Mitte der 2000er Musik, damals noch als Gitarrist und Frontmann in einer Rockband. Was waren deine frühen musikalischen Einflüsse und wann kam Rap dazu?

Also meine gaaanz frühen Einflüsse ist so Zeug, das mein Vater gehört hat wie AC/DC und Metallica. Als ich selbst angefangen habe Musik zu machen, so 2004, habe ich sehr direkt zu Pop-Punk gefunden. Die größten Einflüsse waren da Green Day und Die Ärzte, so ab 2007/2008, als man seine Myspace Seite noch gepflegt hat, auch Paramore, All Time Low und andere Scene-Geschichten.
Rap kam so 2010/2011 dazu, einerseits über F.R., den ich damals sehr stabil fand und ulkigerweise über das Video Battle Turnier (VBT) von rappers.in. Das waren halt auch so Internet-Kinder von lauchiger Statur, die sich gegenseitig gebattlet haben und das hat mir die humorvolle Seite von Rap näher gebracht und wie viele Internetkids wollte ich dann auch gerne ein lustiger VBT-Rapper sein.

Was du dann mit deiner VBT-Teilnahme ja auch gemacht hast (lacht). Hattest du davor schon Pop-Punk-Songs veröffentlicht oder hast du mit Rap angefangen, deine Musik auch einer Öffentlichkeit zu präsentieren?

Yes, 2018 war endlich der Moment gekommen und ich durfte der lustige VBT-Typ sein – gudde Zeit! Abgesehen von Auftritten mit der Schulband waren Rapsongs meine ersten richtigen Veröffentlichungen. Wobei ein Teil davon auch schon früh eher rockige Instrumentals hatten, also ein bisschen Punk war schon seit ca. 2013 dabei.

Nach den VBT-Runden als MC Zirkel, die ja sehr klassisch rappig waren, kamen nach und nach immer mehr Gitarrensounds in den Instrumentals deiner Songs dazu, Ende 2020 hast du das „MC“ abgelegt und bist seitdem nur noch „Zirkel“. Hatte das mit einer bewussten musikalischen Ausrichtung zu tun, weil du eher weiter in die Pop-Punk-Richtung gehen wolltest oder woher kam diese Namensänderung?

Die kam in dieser Zeit, wo alles in Richtung Pop-Punk und weg von funny Boom-Bap-Rap ging, genau. „MC Zirkel“ ist einfach ein super ulkiger Joke-Name und der hat super zu dem VBT-Zeug gepasst und auch wenn ich jetzt immer noch ironische Texte mache und nicht der Superernste bin, passt so ein Joke-Name nicht mehr. Und „Zirkel“ ohne alles finde ich ganz cool, das war dann für niemanden eine wirkliche Umstellung, alle nennen mich eh „Zirkel“.

Ich glaube, zwischendurch hast du dich schon als Rapper bezeichnet, würdest du das heute auch noch sagen? Oder eher „Musiker“, „Artist“ oder Ähnliches?

Ich glaube allgemein „Musiker“ trifft es besten, ich rappe zwar schon irgendwie, aber es liegt mehr Fokus auf Musikalität als früher. Manchmal mache ich so kleine Remix-Sachen oder TikTok-Raps und da rede ich in Parts von mir selbst noch als Rapper – ist man einfach gewohnt wenn man jahrelang Parts darüber schreibt, dass man der beste Rapper ist, hehe.

Apropos „alles in Richtung Pop-Punk“: Seit einiger Zeit gibt es ja ein Comeback ein Pop-Punk, Blink-182(!) sind z. Bsp. einfach mal zurück. Dieses Pop-Punk-Revival wird in weiten Teilen auch durch Rap mitgetragen, mittlerweile auch in Deutschland. Full circle – höhö – fun fact: Das neue Blink-182-Musikvideo wurde von New Wave Rap-Videographer Cole Bennett von Lyrical Lemonade umgesetzt. Ich würde Pop-Punk neben Drill und EDM sogar als einen der Trends im Rap grade sehen. Hast du als „Wandler zwischen diesen Welten“ eine Idee, warum Pop-Punk zurück ist und mit Rap zusammen grade so gut funktioniert?

Oh yes, es ist ein Träumchen! Die sündhaft teuren Blink-Tickets sind bereits am Start und der Hype ist groß! Ich fand es sehr cool, dass Blink-182 nicht zu weit weg vom Geschehen sind, um jemanden wie Cole Bennett auf dem Radar zu haben – hat mich überrascht und war wild.
So ein Revival habe ich nicht in dem Umfang kommen sehen, auch wenn die Emo-Ästhetik ja schon lange im Rap vertreten ist. Ich glaube, viele in meinem Alter werden komplett von der Nostalgie überrollt, die man mit den frühen 2000ern verbindet. Gerade, wenn alles so scheiße ist wie im Moment, denkt man natürlich gerne an die Zeit zurück. Und ich denke der jüngeren Generation, die das garnicht mitbekommen haben, bietet diese Szene und Art von Musik einfach einen geilen Space um sich zu identifizieren und auszuleben, so wie ja auch bei Emos und Scenekids früher.
Für mich persönlich funktioniert das mit Rap so gut, weil in modernen Rap-Produktionen schon sehr fett klingende Vocals und seit Trap geile Melodien am Start sind, aber eine 808 und Co. nicht den gleichen Impact haben wie Drumset und Gitarren – die Songs profitieren einfach krass von einem fetten Pop-Punk-Instrumental unter den fetten Vocals.

Das deckt sich ein bisschen mit einer These von mir dazu: Eine Gemeinsamkeit von Pop-Punk und aktuellem Rap ist der Fokus auf melodiösen Hooks, die hängenbleiben, Strophen und ausgefeilte Lyrics mit Mehrfachreimen sind nicht ganz so wichtig. Könnte das auch mit ein entscheidender Grund für die Annäherung der beiden Genres sein, die damals in den 2000ern, als Rap noch „technischer“ war, so nicht passiert ist?

Bestimmt – auf einem Pop-Punk-Instrumental muss keiner 64 Bars lang mit zehnsilbigen Reimen durchflexen. Rap hat sich viel mehr von reiner Sprechgesangskunst in Richtung Hörerlebnis entwickelt, wo es auch musikalisch nach etwas klingen soll. Und meiner Erfahrung nach waren die Bilder eines „Rappers“ und eines „Pop-Punk-Emos“ in den 2000ern recht fest besetzt. Da war die Kultur noch nicht ready für Rapper, die emotional und verwundbar mit Autotune über ihre Anxiety reden, zumindest nicht in dem Ausmaß wie in der Pop-Punk-/Emo-Scene.

Total. Ich denke auch, eine gewisse Portion (Teenage-)Zukunftsangst war, neben Skatepark-Musikvideos und Schachbrett-Mustern, ebenfalls immer ein integraler Bestandteil von Pop-Punk und das passt grade total in unsere Zeit, in der „alles so scheiße ist“, wie du grade auch gesagt hast und so etwas kann jetzt auch in Rap-Kontexten geäußert werden.
Auch auf deinem Album sind Anxiety und Krise, im kleinen wie im Großen, ein durchgängiges Motiv, das Album ist ja sogar nach dem Outro-Song benannt, der das auch nochmal ganz deutlich benennt. Ist das Album grade ein Zeitzeugnis aus und für Krisenzeiten oder ist das auch ein bisschen der normale Zirkelmodus? Und ist „UFF“ als Titel bzw. Vibe des Albums einfach Ausdruck von Resignation oder auch Äußerung von Protest mit der Hoffnung auf Besserung?

Es ist definitiv, zumindest in der Intensität von Krise, ein Zeitzeugnis. Ob jetzt ein Zeugnis der Zeit allgemein oder der Zeit in meinem Leben, kann ich nichtmal genau sagen. „UFF“ ist wie eine Bestandsaufnahme meiner Gefühlslage zum jetzigen Zeitpunkt. Ich war immer schon so ein bisschen in diesem Zirkel-Krisenmodus, aber konnte alles mit genug Humor nehmen und hab mich nicht runterziehen lassen und „UFF“ ist wie dieser Moment, wo man das nicht mehr kann und denkt „Oha, das ist echt nicht gut.“ Die Hoffnung auf Besserung schwingt natürlich mit, der konkrete Plan fehlt einem.

Trotz der Thematisierung von Mental Health Issues und Fuck Ups sind deine Musik und dein sonstiger Output ja recht humorig und ironisch, du bist laut eigener, früherer Aussage „der Rapper mit Meme-Diplom“ (Zirkel – „Besser“, 2019), auf deinem Merchshirt im Albumbundle steht hinten z. Bsp. auch „Memes are life“. Welche Rolle spielen Memes und das Internet in deinem Leben, vlt. auch als Coping-Mechanismus?

Generell ist das Internet wie mein Zuhause, damit identifiziere ich mich am meisten und das hat meinen Humor stark geprägt. Auch als Plattform zum Ausprobieren war das Internet immer wichtig – Thema VBT. Mit Leuten von überall auf der Welt einen superobskuren Inside-Joke zu teilen ist einfach ein wildes Gefühl und wie viele Ebenen ein Meme haben und vor allem bekommen kann, je länger es existiert, ist geil anzusehen. „Dank Memes“ 2015 sowie dadaistische TikToks heute sind für mich ein wichtiger Beitrag zu Kunst und Kultur und extrem nah am Puls der Zeit oder sogar den Ton angebend.
Eine Copingfunktion hat das Ganze bei mir sicher auch. Ich hatte jetzt keine soo coole Schulzeit und konnte mit niemandem dort connecten, aber im Internet schon. Und heute kann ich dank absolut wilden TikTok-Memes ein bisschen abschalten, auch wenn mein TikTok-Konsum wie bei den Meisten nicht gesund ist – Uff.

Haha, ich glaube, du warst als „Schmemes“ sogar schon auf TikTok viral, bevor das unter Musiker:Innen cool war?

Fact! 2018 habe ich ein kleines Meme mit Song hochgeladen und als das viral ging hab ich den Song auf Spotify hochgeladen und jetzt geht der auf die 1 Million Streams zu. Das war damals was ziemlich Neues und heute gehört so ein Vorgehen zur Marketingstrategie von so ziemlich allen.

„TikTok-Marketing war Zirkels Idee“ (lacht). Wenn also nicht mit Pop-Punk-Rap, dann mit den Memes, Mann?

Haha exakt, Fler hat sich das nicht einfallen lassen – diesmal war ich es! So wird es sein, Memes werden mich bis zum bitteren oder unbitteren Ende begleiten.

Was kommt nach dem Album? Ruhst du dich erstmal aus oder ist schon das nächste Projekt geplant?

Es ist, wie es immer ist – ich will mich ausruhen, aber es lauern bestimmt schon irgendwo wieder die nächsten Songs und die werden gnadenlos rausgekloppt – auch das ist eine Profi-Formulierung.

(Lacht) Dann vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit dem Album, den nächsten Songs und der Mission, Pop-Punk zurückzubringen!

Sehr gerne! Danke, danke und Kuss an dich!

Spotify-Stream Zirkel – „UFF“:

(Artikel-Fotocredit: Simon Robben)